Das finnische Zählsystem

Verfasst am von Enum | Schlagwörter: Finnisch, Linguistik

Es wird ja gerne darüber gelacht, wie absurd die Französisch-Sprechlons Zahlen ausdrücken. Mit 4*20+10+94 * 20 + 10 + 9, a.k.a. quatre-vingt-dix-neuf und so. Ähnlich beschweren sich Deutsch-Lernende darüber, dass im Deutschen Zehner und Einser vertauscht sind. Im folgenden möchte ich anschneiden, wie das denn im Finnischen ist und war.

Das heutige finnische Zählsystem ist fast langweilig: Die Zahlen 1 bis 10 haben eigene Namen. Für 11-19 wird -toista drangehängt, das heißt so viel wie vom Zweiten. Die vollen Zehner, also 20, 30, 40, etc. enden alle auf -kymmentä. Die Zwanzig (kaksikymmentä) heißt also wörtlich zwei Zehnen. Zahlen dazwischen werden einfach draufaddiert, also ist die 21 zwei Zehnen eins. Lässt sich mit klarkommen, oder?

Dabei können wir als Randdetail bemerken, dass die Zahlen kahdeksan (8) und yhdeksän (9) mit kahde- und yhde- beginnen, das sind die Stämme der Zahlen kaksi (2) und yksi (1)! Vergleiche dazu die Genitive kahden (der Zwei) und yhden (der Eins). Es wird angenommen, dass eksä eine alte Form von ei (nicht) in der 3. Person Singular war. Wörtlich heißt die Acht demnach Zwei-nicht (von 10), die Neun heißt Eins-nicht (von 10).

Zahl Finnisch wörtl. Übersetzung
1 yksi eins
2 kaksi zwei
3 kolme drei
4 neljä vier
5 viisi fünf
6 kuusi sechs
7 seitsemän sieben
8 kahdeksan zwei-nicht
9 yhdeksän eins-nicht
10 kymmenen zehn
11 yksitoista eins vom Zweiten
12 kaksitoista zwei vom Zweiten
19 yhdeksäntoista eins-nicht vom Zweiten
20 kaksikymmentä zwei Zehnen
21 kaksikymmentäyksi zwei Zehnen eins
29 kaksikymmentäyhdeksän zwei Zehnen eins-nicht
30 kolmekymmentä drei Zehnen
31 kolmekymmentäyksi drei Zehnen eins
99 yhdeksänkymmentäyhdeksän eins-nicht Zehnen eins-nicht

Das war nicht immer so, früher wurde anders gezählt. Das sieht mensch z.B. an der Kapitelnummerierung des Epos Kalevala. Okay, einerseits handelt es sich dort um Ordinalzahlen, aber sie sind auch anders zusammengesetzt! Bis zur 20 hat sich nichts geändert, und auch die vollen Zehner wurden schon damals genauso ausgedrückt wie heute noch. Für die Zahlen dazwischen wurde jedoch das Schema fortgesetzt, das wir von den Zahlen 11 bis 19 kennen. Und zwar war die 21 yksikolmatta (eins vom Dritten), die 31 yksineljättä (eins vom Vierten), etc.

Zahl Finnisch wörtl. Übersetzung
20 kaksikymmentä zwei Zehnen
21 yksikolmatta eins vom Dritten
22 kaksikolmatta zwei vom Dritten
28 kahdeksankolmatta zwei-nicht vom Dritten
29 yhdeksänkolmatta eins-nicht vom Dritten
30 kolmekymmentä drei Zehnen
31 yksineljättä eins vom Vierten
32 kaksineljättä zwei vom Vierten
40 neljäkymmentä vier Zehnen
41 yksiviidettä eins vom Fünften
50 viisikymmentä fünf Zehnen
51 yksikuudetta eins vom Sechsten
89 kahdeksanyhdeksättä eins-nicht vom Eins-nicht-ten
90 yhdeksänkymmentä eins-nicht Zehnen
91 yksikymmenettä eins vom Zehnten
99 yhdeksänkymmenettä eins-nicht vom Zehnten

Ich nehme stark an, dass mensch sich da beim Vorlesen schnell verspricht, und z.B. die 41 als eins vom Vierten vorliest, statt als eins vom Fünften. Vielleicht ist das einer der Gründe für die Veränderung? Oder Sprachkontakt. Jedenfalls bin ich froh, mir diese Zahlen nicht angewöhnen zu müssen.

Nachträgliche Ergänzung: Wer aufmerksam im Wörterbuch blättert, kann feststellen, dass kuusi nicht nur 6, sondern auch Fichte bedeutet. Das ist jedoch nur ein Zufall, der auf phonologische Prozesse zurückgeht. Das Zahlwort für 6 war früher kuuti, in einem größeren Lautwandel ist wortfinales -ti jedoch systematisch zu -si geworden. Wir finden das t heute noch in der Partitivform kuutta, im Essiv kuutena und im Illativ kuuteen, außerdem lautet der schwache Stamm kuude-. In demselben Prozess ist viiti zu viisi (5) geworden, yhti zu yksi (1), kahti zu kaksi (2), veti zu vesi (Wasser), usw. Die Fichte hingegen hieß schon immer kuusi, auch vor diesem Lautwandel. Zu erkennen ist dies an den deklinierten Formen, wo das s bestehen bleibt: Partitiv kuusta, Genitiv kuusen, Essiv kuusena, usw. Die Ambiguität besteht also nur im Nominativ.

Wer noch aufmerksamer ist, stellt auch fest, dass kuusi außerdem noch dein Mond bedeuten kann. Auch das ist Zufall: Der Mond heißt einfach nur kuu, -si ist ein Possessivsuffix. Auch hier besteht die Ambiguität nur im Nominativ, denn die Kasusendungen werden vor das Possessivsuffix gesetzt:

Kasus kuusi (6) kuusi (Fichte) kuusi (dein Mond)
Nominativ: kuusi (< kuuti) kuusi kuusi
Genitiv: kuuden kuusen kuusi
Partitiv: kuutta kuusta kuutasi
Essiv: kuutena kuusena kuunasi
Translativ: kuudeksi kuuseksi kuuksesi
Inessiv: kuudessa kuusessa kuussasi
Illativ: kuuteen kuuseen kuuhusi
Elativ: kuudesta kuusesta kuustasi
Adessiv: kuudella kuusella kuullasi
Allativ: kuudelle kuuselle kuullesi
Ablativ: kuudelta kuuselta kuultasi

Lustig wird es auch bei abgeleiteten Wörtern: kuusikko heißt sowohl Sextett (von kuusi = 6 abgeleitet) als auch Fichtenwald (von kuusi = Fichte abgeleitet). Ich bin mir sicher, dass es dazu sehr schöne Wortwitze gibt, denn kuusikko wird mit beiden Bedeutungen gleich dekliniert.